Wenn man zwei recht aktuelle Studien zur KI-Nutzung vergleicht, könnte der Eindruck entstehen, Deutschland sei der Welt bereits „einen“ Schritt voraus. Der Bericht „Erschließung des KI-Potenzials in Deutschland 2025“ (Strand Partners im Auftrag von AWS) zeichnet ein euphorisches Bild: 53% der Unternehmen nutzen bereits KI, ein Anstieg von 36% gegenüber dem Vorjahr. Über 1,8 Millionen deutsche Unternehmen sollen demnach schon KI einsetzen. 96% berichten von Umsatzsteigerungen, im Schnitt um 34%. Start-ups gelten als Innovationsmotor, während die Bundesregierung flankierend Förderprogramme und Kompetenzzentren aufsetzt. Deutschland, so der Tenor, ist nicht nur gut unterwegs, sondern europäischer Vorreiter. Da möchte ich als überzeugter Europäer und KI-Enthusiast in Jubel ausbrechen.
Stellt man dieses Bild dem nur wenige Monate älteren MIT-Report „A playbook for crafting AI strategy“ (MIT Technology Review Insights, 2024) gegenüber, führt es zumindest bei mir zu Erstauen. Dort heißt es, nur 5,4% der US-Unternehmen hätten KI tatsächlich produktiv in Produkten oder Services im Einsatz. 76% der befragten internationalen Unternehmen stecken noch in maximal drei Use Cases. Hauptprobleme sind Datenqualität, Legacy-Systeme, ungeklärte ROI-Fragen und wachsende regulatorische Anforderungen. 98% der Befragten wollen lieber auf Geschwindigkeit verzichten, um Sicherheit und Compliance zu gewährleisten. Euphorie hört sich anders an.
Da stellt sich mir die Frage, ob es sein kann, dass der Durchschnitt der deutschen Unternehmen weiter ist als die globale Konzernelite mit Milliardenbudgets? Ist es wahrscheinlich, dass ein Land, das in Digitalisierung und Cloud lange als Nachzügler galt, plötzlich zum internationalen Benchmark für praktische KI-Nutzung aufgestiegen ist?
Es ist schon klar, dass man Studien nicht einfach miteinander vergleichen kann. Unterschiedliche Grundgesamtheiten, Art und Inhalt der Fragen und schließlich ganz besonders die Intention der Studienauftraggeber machen das nahezu unmöglich. Ich frage mich dennoch, welchen Erkenntniswert die Meinung von Bürgerinnen und Bürgern zu Themen wie Unternehmensnutzen, ROI oder Produktivität der KI hat. Wer einmal ChatGPT ausprobiert hat, kann noch keine fundierte Aussage über die strategische Verankerung von KI in Geschäftsmodellen treffen. Und meiner Meinung nach, ist jemand, der das Office-Paket von Microsoft installiert hat und damit Copilot mit bereitgestellt bekommen hat, nicht automatisch als KI-Nutzer zu klassifizieren. Kann es sein, dass die Bürgerbefragung daher weniger der Datentiefe als der politischen Legitimation dient, indem man zeigt, dass nicht nur die Unternehmen, sondern „auch die Gesellschaft“ KI akzeptiert?
Auch der Blick auf die Unternehmensstichprobe lohnt sich. Besonders spektakulär wirken Aussagen wie: „45% der deutschen Start-ups haben ein KI-Produkt auf den Markt gebracht.“ Berücksichtigt man jedoch, dass Start-ups in Deutschland nur einen Bruchteil der Unternehmenslandschaft ausmachen und dass die Stichprobe bei 1.000 Firmen liegt, reden wir wahrscheinlich über eine zweistellige Zahl von Start-ups, die hier hochgerechnet wird. Dies mag statistisch korrekt sein, ist es aber ökonomisch repräsentativ für die deutsche Wirtschaftskraft?
Der MIT-Report hingegen befragte 205 Executives, fast ausschließlich aus dem C-Level, von internationalen Unternehmen mit mehr als 500 Mio. USD Umsatz, 73% sogar über 1 Mrd. USD.
Wenn man die Tonlagen nebeneinanderliest, wirkt es fast ironisch: Das Land, das beim Breitbandausbau hinterherhinkt, soll plötzlich beim produktiven Einsatz von KI die Nase vorn haben und weiter als jene Konzerne sein, die Milliarden in Dateninfrastruktur stecken.
Ich will das aber gar nicht zynisch betrachten. Mir ist nur ein realistischer Blick auf die Lage wichtig. KI ist ohne Zweifel eine der größten Transformationschancen unserer Zeit. Wir können Produktivitätssprünge erreichen und neue Geschäftsmodelle und bessere Kundenerlebnisse entwickeln, müssen aber Hype von Substanz unterscheiden. Wir sollten uns nicht in Sicherheit wiegen, nur weil eine Statistik verheißungsvoll klingt. Entscheidend ist, dass Unternehmen die Grundlagen legen, indem sie die Datenqualität optimieren, Datensilos auflösen, saubere Prozesse definieren und eine klare ROI-Strategie entwickeln. Erst dann wird KI von der Schlagzeile zur echten Transformation.


Schreibe einen Kommentar